15 Saxophon-Alben, die man hören sollte
15 SAXOPHONE ALBUMS
YOU SHOULD HEAR
December 14, 2018 | by Richard Scheinin
John Coltrane A Love Supreme artwork
Für den größten Teil eines Jahrhunderts war der Klang des Jazz untrennbar mit dem Klang des Saxophons verbunden: eindringlich, klagend, einzigartig ausdrucksstark. Immer wieder haben die Innovationen der Saxophonisten die Musik vorangebracht: von Lester Young über Charlie Parker bis hin zu John Coltrane und darüber hinaus.
Wir haben also versucht, diese Geschichte des Saxophons in einer Liste von 15 Aufnahmen zusammenzufassen. Viel Glück, oder? Was Sie jetzt lesen werden, umfasst etwa 80 Jahre Jazzgeschichte. Ich habe versucht, „unverzichtbare“ Aufnahmen aufzunehmen, also solche, die jeder, der sich für Jazz interessiert, hören sollte. Aber hier und da hat sich die Liste in Richtung persönlicher Favoriten verschoben. Wie kann man schließlich nur ein einziges Album von Sonny Rollins auswählen? Manchmal muss man sich einfach für das entscheiden, das man am meisten liebt.
Außerdem fehlen in dieser Liste der „Essentials“ Dutzende von bahnbrechenden Musikern. Das ist unvermeidlich, aber es tut weh, an die Musiker zu denken, die es nicht auf die Liste geschafft haben. Es gibt keinen Johnny Hodges auf dieser Liste. Kein Ben Webster oder Dexter Gordon. Kein Cannonball Adderley oder Joe Henderson oder Jackie McLean. Kein Roland Kirk oder Pharoah Sanders oder Archie Shepp. Kein Sam Rivers oder Billy Harper. Kein Michael Brecker oder Kenny Garrett oder Joe Lovano oder Ravi Coltrane.
Bis zu einem gewissen Grad erfordert die Vervollständigung dieser Liste also die Erstellung einer weiteren. Vielleicht wird das in ein paar Monaten geschehen.
Aber in der Zwischenzeit sollten Sie sich diese 15 unverzichtbaren Stücke ansehen.
Coleman Hawkins
Body and Soul (RCA, 1939, zusammengefasst auf Coleman Hawkins: Ken Burns‘ Jazz, auf Verve)
Als Älterer war Hawkins – „Vater des Tenorsaxophons“ – Mentor von Thelonious Monk und spielte mit dem Avantgardisten Eric Dolphy. Aber dieses ikonische Stück stammt aus einer früheren Phase seiner Karriere, als er das Saxophon buchstäblich auf die Landkarte setzte und bewies, dass es kein unbeholfenes Marschmusikinstrument war – nein, dank Hawkins sollte es zum dominierenden Instrument im Jazz werden. Dieses Stück hat den Weg gewiesen. Wie sein Held Louis Armstrong war auch Hawkins‘ Konzeption souverän und brillant klar. Hören Sie sich seinen kräftigen und reifen Sound an, wenn er sich von Refrain zu Refrain bewegt, seine Phrasen mit blumigen Akzenten ausschmückt, Noten ausklingen lässt und dann wieder auf den Gipfel zusteuert. Seine Improvisation entfaltet sich in Etappen, wie eine riesige Kadenz. Hawkins zeigte seinen Mitstreitern nicht nur, wie man eine Ballade großartig spielt. Vielmehr lehrte er sie, wie man ein improvisiertes Solo auf dem Instrument aufbaut, das später den Klang des Jazz definieren sollte.
Lester Young
Indiana (Aladdin, 1942, erhältlich auf The Complete Aladdin Recordings of Lester Young, auf Blue Note)
Wann wird Atem zu Klang? Das ist das Geheimnis von Lester Young, der seine letzte Runde von Refrains auf diesem Stück mit einer kaum gemurmelten Phrase beginnt – nur die Spur einer Idee, die jedoch sofort die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Was kommt als nächstes, fragt man sich? Wohin will Lester mich bringen? Wie Miles Davis, einer seiner Erben, führt Young Sie zu einer hellen Schönheit, die sich in einem dunstigen, bluesigen Wirbel versteckt. Bei Young gibt es nie zu viele Noten. Sein Spiel ist eine Essenz – schwebend, seidig, schwingend. Dieser Triotitel mit dem Pianisten Nat King Cole und dem Bassisten Red Callender ist ein eindringlicher Fußtapper. Und doch ist es so entspannt, dass man nicht weiß, ob man tanzen oder einfach der Unterhaltung lauschen soll. Ist Lester am Lachen? Weint er? Innerhalb eines kurzen Satzes kann er beides tun. Seine Stimme hat eine ganze Generation von Musikern geprägt und inspiriert sie bis heute.
Charlie Parker
Bird of Paradise (Dial, 1947, anthologisiert auf The Complete Savoy & Dial Master Takes, Savoy Jazz)
Wie ein Radioempfänger, wählte der junge Charlie Parker – „Bird“ – Hawkins und Young ein, zusammen mit Chu Berry, Ben Webster und anderen genialen Saxophonisten, die in den 1930er Jahren in Kansas City, Parkers Heimatstadt, arbeiteten. Was geschah dann, und warum? Nun, wie kann man J.S. Bach erklären? Parkers Sprache könnte wie die von Bach einer universellen Quelle entsprungen sein, wenn man die innere Logik und die vollkommene Schönheit bedenkt – ganz zu schweigen von der Blues-Essenz, den verrückten Melodien und den Tempi, die wie die U-Bahnen rasen, mit denen Parker nach seinem Umzug nach New York von Harlem zur 52. Er hat auch einige wunderschöne Balladen eingespielt, darunter „Bird of Paradise“ (basierend auf den Akkordwechseln von „All the Things You Are“), das er 1946-47 für das Dial-Label aufgenommen hat. Nachdem Sie sich durch die benachbarten Stücke – „Dexterity“, „Bongo Bop“, „Klact-oveeseds-tene“ und „Scrapple from the Apple“ – bewegt haben, werden Sie in Bird’s World Fuß gefasst haben. Alle diese Stücke stammen übrigens aus seiner damaligen Arbeitsband mit dem Trompeter Miles Davis und dem Schlagzeuger Max Roach.
Sonny Rollins
Sonny Rollins Plus 4 (Prestige, 1956)
Der Überschwang, das endlose Ausspinnen von Ideen: Rollins ist wie kein anderer Improvisator. Auf diesem Album sind zwei seiner besten Kompositionen zu hören – „Valse Hot“ und „Pent-Up House“ – und er ist in einer so ausgelassenen Stimmung, dass man sich beim Zuhören einfach wohlfühlen muss. Doppelt gut, weil das Album ihn mit dem großen Trompeter Clifford Brown zusammenbringt. Sie spielen wie Seelenverwandte, wobei die Empathie dadurch verstärkt wird, dass es sich um eine Arbeitsband handelt: Es handelt sich nämlich um das Clifford Brown-Max Roach Quintet, in dem Rollins Mitglied war. Dennoch beherrscht der Saxophonist Track für Track das Geschehen. Hören Sie sich sein Solo bei „Kiss and Run“ an – beschwingt, unbesiegbar swingend, melodiös erfinderisch und vor allem voller Freude und seiner besonderen Vitalität. Rollins ist unaufhaltsam, wie ein Fluss. Er rundet das Konzert mit „Count Your Blessings“ ab, einem herzlichen und direkten Stück, das Gänsehaut verursacht. Danke, Mr. Rollins.
Eric Dolphy
Far Cry (New Jazz, 1962)
Oh, Dolphy, niemand hat so geklungen wie du: diese Warbles und Wails, diese geflatterten Gurrgeräusche und explodierenden Lachanfälle. Die Alben des virtuosen Multi-Redakteurs sind voll von Avant-Bebop der besonderen Art, wild und skurril. Er wird Sie zum Lachen bringen. Bei seinem Stück „Miss Ann“ klingt er wie Charlie Parker in einer Diagonale: Kubistischer Vogel, seltsam logisch und nie mehr als ein paar Millimeter vom Blues entfernt. Und konnte Dolphy jemals eine Melodie spielen: Sein „Left Alone“ (auf der Flöte) sorgt für Gänsehaut. Sein „Tenderly“ (Solo, auf Altsaxophon) lässt einen zu einer Pfütze werden. Sein „It’s Magic“ (auf der Bassklarinette) ist eines der gefühlvollsten Stücke, die Sie je hören werden, auch wenn er in der Mitte seines Vortrags quietscht. Dolphy war zu gleichen Teilen Intellekt, Herz und Fantasie – und Besessenheit, denn er war immer auf der Suche nach seiner Wahrheit, dem Klang, den er in seinem Kopf erträumte. Coltrane liebte ihn, ebenso wie Charles Mingus und Ornette Coleman, mit denen Dolphy am selben Tag, an dem er dieses besondere Album „Far Cry“ aufnahm, den kultigen „Free Jazz“ aufnahm.“
John Coltrane
A Love Supreme (Impulse, 1965)
Ein Meilenstein in der Musik des 20. Jahrhunderts, die Platte beginnt mit dem kühnen Schlag eines chinesischen Gongs, dessen Nachhall die Luft für das Kommende reinigt. „A Love Supreme“ ist eine Suite, die sich wie ein Gottesdienst aufbaut und von dem Saxophonisten in den Anmerkungen zur LP als eine Opfergabe an Gott beschrieben wurde. Sie kristallisiert den Coltrane-Sound, den seines Supernova-Saxophons und seines klassischen Quartetts mit dem Pianisten McCoy Tyner, dem Bassisten Jimmy Garrison und dem Schlagzeuger Elvin Jones. Nach mehr als einem halben Jahrhundert ist das Album immer noch atemberaubend. Der Hörer spürt, dass für die vier Musiker zum Zeitpunkt der Aufnahme „alles neu war“, wie mir der Saxophonist Ravi Coltrane, Johns Sohn, vor ein paar Jahren sagte. „Es ist, als wenn sich die Planeten ausrichten. Das passiert nicht jeden Tag.“
Wayne Shorter
JuJu (Blue Note, 1965)
Jetzt 85 Jahre alt, ist Shorter der Yoda des Jazz, ein Meister der geheimen harmonischen Bewegung und ein Spieler, dessen Solostil immer sparsamer und kryptischer geworden ist. Aber das stammt aus einer früheren Zeit, als Shorter – im Bann seines Freundes Coltrane – eine Art wütende Schönheit in den Formen seiner erstaunlichen Kompositionen suchte. „Deluge“. „House of Jade.“ „Yes or No.“ „Twelve More Bars to Go“. Die Stücke hier sind unvergesslich, und Shorters Quartett – es ist im Wesentlichen das von Coltrane, mit McCoy Tyner, Elvin Jones und dem Bassisten Reggie Workman – fühlt sich ozeanisch an und speist den Saxophonisten mit roher Energie, während sich seine Soli in einem brodelnden spirituellen Aufstieg nach oben, oben, oben bewegen. Dies ist eine der besten Platten der 1960er Jahre, ja sogar jeder anderen Ära. Sie wird nie alt.
Stan Getz
Sweet Rain (Verve, 1967)
Auf diesem exquisiten Album steht Getz – wie Shorter auf JuJu – unter dem Einfluss von Coltrane. Aber Getz‘ Temperament erzeugt eine ganz andere Stimmung. Sein Tenorklang ist verblüffend rein und flötenartig, leicht wie eine Feder. Er strahlt eine Aura seltener Eleganz aus und klingt wie Lester Young im modalen Gewand. Die Band – mit Pianist Chick Corea, Bassist Ron Carter und Schlagzeuger Grady Tate – ist perfekt. Ebenso wie die Songauswahl, die von Antonio Carlos Jobims „O Grande Amor“ über Coreas „Litha“ und „Windows“ bis zu Dizzy Gillespies „Con Alma“ reicht. Bei letzterem nimmt Getz‘ Solo allmählich an Fahrt auf; seine Coda geht in Sekundenschnelle von einem Flüstern zu einem Heulen über. Das ist opernhaft. Track für Track vereinen die Darbietungen Klarheit und Zurückhaltung mit kaum verhohlener Intensität. Jede Melodie ist wie eine weißglühende Kohle.
Albert Ayler
In Greenwich Village (Impulse, 1967)
Am anderen Ende des Spektrums als Mr. Getz steht Mr. Ayler. Dieses Album versammelt eine Reihe von ekstatischen Hymnen des Tenorsaxophonisten: „Change Has Come“, „Truth is Marching In“, „Our Prayer“. Jedes Stück ist teils Parademusik, teils Volkslied, teils Pfingsttumult. Die Darbietungen sind massiv, überwältigend und, ja, freudig schmetternd, angeführt von dem flehenden Saxophonisten und dem Trompeter Donald Ayler, dem Bruder des Bandleaders. Nennen Sie es „Free Jazz“ oder „Feuermusik“ oder „die neue Welle“ – was es bedeutet, ist, dass Ayler die Orthodoxie des Jazz in Brand steckte, so wie es die MC5 und andere Punkbands mit dem Rock ’n‘ Roll tun sollten. Ayler wurde als Ketzer abgestempelt. Doch in Wahrheit speiste sich jede Note, die er spielte, aus denselben Strömen wie der Jazz, insbesondere aus der afroamerikanischen Kirche. Dieses Album wurde live im Village Vanguard und im Village Theatre aufgenommen, das einige Jahre später einen neuen Namen erhielt: das Fillmore East.
Ornette Coleman
Science Fiction (Columbia, 1972)
Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich dieses Album höre, und ich habe es schon tausendmal gehört. Coleman war mehr als ein Saxophonist, er war ein rein kreativer Künstler, dessen Begabung für Melodien und dessen grundlegende Affinität für Blues-Feeling zu Schlüsselelementen eines Werks wurden, das in der amerikanischen Musik einzigartig ist. Doch als Saxophonist geht Coleman über normale Größe hinaus. Sein Klang ist so zutiefst menschlich: Mit jeder flehenden Note ist er sowohl eine alte Seele als auch ein reines Kind. Seine Aufnahmen aus den späten 50er Jahren inspirierten eine Revolution im Jazz. Science Fiction kündigte sein zweites Kommen an. Es ist ein Blutrausch von pulsierender kreativer Energie und Schönheit. Es ist erstaunlich, wie schnell die Musiker aufeinander abgestimmt sind. Coleman versammelte seine engsten Freunde, allesamt Meistermusiker, für dieses Konzert: die Trompeter Don Cherry und Bobby Bradford, den Saxophonisten Dewey Redman, den Bassisten Charlie Haden, die Schlagzeuger Ed Blackwell und Billy Higgins. Asha Puthli aus Bombay singt zwei von Colemans eindringlichsten Liedern, „What Reason Could I Give“ und „All My Life“. Über einem wimmelnden Bienenstock aus improvisierten Klängen und den überspielten Schreien eines Babys rezitiert der Dichter David Henderson die Worte des Titelsongs: „Mein… Leben… gehört… zu…. Zivilisation.“ Durch den gesunden Einsatz von Studioeffekten – extremer Hall und Kompression – vermittelt dieser Track den Eindruck, als kämen Musik und Worte aus einer anderen Zeit und einem anderen Ort. Man könnte sagen, dies war Afrofuturismus, bevor der Begriff erfunden wurde. Aber in Wirklichkeit tat Ornette nur das, was er immer tat: Er griff in seine eigene persönliche Dimension ein und zog dann den Vorhang auf, um dem Rest von uns seine Welt zu offenbaren.
Anthony Braxton
New York, Herbst 1974 (Arista, 1975, erhältlich auf The Complete Arista Recordings of Anthony Braxton, auf Mosaic Records)
Braxton ist der seriöseste Musiker, dem man je begegnen wird, und er ist ein Gas. Auf diesem Album spielt er Altsaxophon, Sopraninosaxophon, Flöte, Altflöte, Klarinette und Kontrabassklarinette. Er ist ein Erforscher des Klangs, ein Verächter von Kategorien, und er hat Marathonopern über kosmische Themen komponiert, die nie aufgeführt werden. Aber hier steht er 1974 in einem New Yorker Aufnahmestudio, nimmt für ein großes Label auf und verdeutlicht seine Jazz-Wurzeln mit seinem Quartett – einer der maßgeblichen Bands dieser Zeit – und einigen besonderen Gästen. Das Album beginnt mit erdumspannendem Bebop, während sich das Quartett in Braxtons virtuose Puzzlesprache vertieft: post-Charlie Parker, post-Ornette Coleman, post-Eric Dolphy. Mit jedem Stück kommt etwas anderes: ein frisches Kammermusikstück, das auf Strawinsky verweist; ein entspanntes Zwischenspiel mit Mid-Tempo-Swing; ein verblüffendes Duett für Braxton und Synthesizer; eine dunkel getönte Komposition für Saxophonquartett mit Braxton und drei anderen Innovatoren: Oliver Lake, Julius Hemphill und Hamiet Bluiett. Das Album lässt die Intensität und Unruhe dieser Zeit wieder aufleben – und die Offenheit, mit der sich Jazz-Mainstream und Avantgarde eine Zeit lang vermischen konnten. In den Jahrzehnten seither ist Braxton zu einer Art Ein-Mann-Akademie geworden. Sie sind die Freidenker, die Verrückten, die, die immer wieder für Überraschungen sorgen.
Branford Marsalis
Trio Jeepy (Columbia, 1989)
Marsalis ging ins Studio und ließ die Bänder für diese Aufnahme mit dem Schlagzeuger Jeff „Tain“ Watts, seinem Freund und Kollegen, und dem Bassisten Milt „The Judge“ Hinton, einem verehrten alten Mann, laufen. Es ist ein Album voller lässiger Virtuosität und überschwänglichem Swing, auf dem Marsalis – zum Zeitpunkt der Aufnahme 28 Jahre alt – im Sonny-Rollins-Stil die Wechsel überschwemmt und es leicht klingen lässt. Das Trio spielt Marsalis‘ eigenes „Housed from Edward“ und donnert dann durch „The Nearness of You“, „Three Little Words“, „Makin‘ Whoopee“ und Billy Strayhorns „U.M.M.G.“. Letzteres wird in einem schnellen Tempo aufgenommen, wobei Hinton einen Groove hinlegt, der ihm fast die Show stiehlt. Dieses Album ist ein Vergnügen. Es ist so intim, als wäre es in Ihrem Wohnzimmer aufgenommen worden. Es zeugt von einem guten Gefühl und der Liebe zur Jazztradition. Bei mehreren abschließenden Stücken springt Delbert Felix am Bass ein, während das Trio in den „modalen Burnout“-Stil eintaucht, der in den kommenden Jahren zu Marsalis‘ Markenzeichen werden sollte.
Steve Coleman
Curves of Life (RCA/BMG, 1995)
Diese Live-Aufnahme aus dem Hot Brass Club in Paris zeigt den Altsaxophonisten auf dem Höhepunkt mit seiner Band The Five Elements. Es ist leicht, sich in Beschreibungen von Colemans komplexer Synthese zu verfangen, die sich stark auf Bebop und Funk stützt und Auszüge aus der traditionellen Musik Kubas, Westafrikas und Indiens enthält. Vergessen Sie das alles. Five Elements ist eine Band, die sich auf der Stelle dreht – man denke an James Brown -, während Coleman über und durch die Matrix des polyrhythmischen Funk fliegt und dabei an die beiden Parker Charlie und Maceo erinnert. Als Mitbegründer der M-Base-Bewegung in den 1980er Jahren hat Coleman im Laufe der Jahre einen Einfluss wie Art Blakey gewonnen: Dutzende von großartigen Musikern haben seine Gruppen durchlaufen, seine Konzepte und seinen Prozess aufgesogen, seine Art, eine Band durch blitzschnelle Wechsel in Tempo, Tonart, Dichte und Stimmung zu führen. All diese Elemente werden fokussiert, laserartig. Das kann man bei „Curves of Life“ hören. Die Musik brennt, und das Publikum reagiert: Es schreit und kreischt. Der letzte Track, „I’m Burnin‘ Up (Fire Theme)“, erweitert die Kernband um drei Rapper und einen Gastsaxophonisten, den titanischen David Murray, der sich durch das Geschehen brüllt.
Joshua Redman
The Bad Plus Joshua Redman (Nonesuch, 2015)
Eine Zusammenarbeit zwischen dem Saxophonisten und dem Klaviertrio, das als The Bad Plus bekannt ist, erzeugt eine einheitliche Stimmung: eindringlich, hypnotisch und schön. Redman ist ein mitdenkender und anpassungsfähiger Spieler, der immer daran arbeitet, eine bestimmte Situation zu verbessern. Er nutzt hier die gesamte Bandbreite des Horns mit einem gleichmäßigen und schönen Ton, spinnt neue Melodien durch seine Soli, baut unmerklich Spannung auf, bis die Musik in ein hohes Drama und eine spirituelle Katharsis übergeht. Das geschieht auf der gesamten Aufnahme, vor allem bei „Beauty Has It Hard“ (von Schlagzeuger Dave King) und „Silence is the Question“ (von Bassist Reid Anderson). Als diese Musiker zusammenkamen, war etwas Besonderes im Gange. Aus dem langjährigen Trio wurde ein Quartett; die vier Musiker klingen wie eine funktionierende Band. Die Aufnahme steht stellvertretend für einen Trend im heutigen Jazz, bei dem Zusammenarbeit und Prozess oft Vorrang vor der Führung und Vision eines einzelnen Musikers haben. Dennoch verdient Redman – 46 Jahre alt, als dieses Album entstand – ein besonderes Wort. Seit seinen frühen 20er Jahren ist er ein bekannter Musiker, der hart arbeitet und Risiken eingeht, der seine technischen Fähigkeiten und seine Ausdrucksmöglichkeiten immer weiter ausbaut. Das ist selten, in jeder Ära.
Kamasi Washington
The Epic (Brainfeeder, 2015)
Der Tenorsaxophonist Washington verfügt über eine Coltrane-artige Dringlichkeit, die die Barrikaden stürmt: Er kann dich an der Wand festnageln und dich auf die andere Seite schieben – wo du den Staub abstreifst, dich am Kopf kratzt und sagst: „Mann, ich wusste gar nicht, dass dieser Ort existiert.“ Die besten Momente von The Epic sind solche Momente, beginnend mit „Change of the Guard“, der Hymne, die diese fast dreistündige Suite mit drei CDs einleitet, die von einer zehnköpfigen Band, einem Orchester und einem Chor begleitet wird. In den 17 Tracks hört man Washingtons Eintauchen in die afroamerikanische Kirche, in den Aufschwung des Soul der 70er Jahre (Marvin Gaye, Donny Hathaway) und in den vergeistigten Jazz der 70er Jahre von Alice Coltrane, McCoy Tyner, Pharoah Sanders und Billy Harper. Washington, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von The Epic 34 Jahre alt war, nimmt all dies in sich auf und verleiht ihm gleichzeitig ein Gefühl der Aktualität. Er hat eine bekannte Parallelkarriere im Hip-Hop; er spielt auf Kendrick Lamars To Pimp A Butterfly mit. Das lose Musikkollektiv, das sich in Los Angeles um ihn gebildet hat – bekannt als West Coast Get Down – scheint das Lied des Augenblicks im Jazz zu spielen, und Washington spielt das Lied der Lieder.
Richard Scheinin, ein Mitarbeiter des SFJAZZ, ist ein lebenslanger Journalist. Er war mehr als ein Jahrzehnt lang der Klassik- und Jazzkritiker der San Jose Mercury News und hat zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens porträtiert, von Ike Turner über Tony La Russa bis zum Dalai Lama.