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WASHINGTON – Winzige Täler nahe der Spitze des antarktischen Eisschildes erreichen im Winter Temperaturen von fast minus 100 Grad Celsius, so eine neue Studie. Die Ergebnisse könnten das Verständnis der Wissenschaftler darüber verändern, wie tief die Temperaturen an der Erdoberfläche sinken können, so die Forscher.

Wissenschaftler gaben 2013 bekannt, dass sie die niedrigsten Temperaturen an der Erdoberfläche gefunden haben: Sensoren mehrerer Erdbeobachtungssatelliten maßen an mehreren Stellen des ostantarktischen Plateaus, einem schneebedeckten Hochplateau in der Zentralantarktis, das den Südpol umfasst, Temperaturen von minus 93 Grad Celsius (minus 135 Grad Fahrenheit). Die Forscher revidierten diese erste Studie jedoch anhand neuer Daten und stellten fest, dass die Temperaturen in der südlichen Polarnacht tatsächlich minus 98 Grad Celsius erreichen, vor allem im Juli und August.

Als die Forscher vor fünf Jahren erstmals bekannt gaben, dass sie die kältesten Temperaturen der Erde gefunden hatten, stellten sie fest, dass ein anhaltend klarer Himmel und leichte Winde erforderlich sind, damit die Temperaturen so tief sinken können. Doch die neue Studie fügt der Geschichte eine weitere Wendung hinzu: Es ist nicht nur ein klarer Himmel erforderlich, sondern die Luft muss auch extrem trocken sein, da Wasserdampf einen Teil der Wärme in der Luft zurückhält.

Die Forscher beobachteten die ultratiefen Temperaturen in kleinen Senken oder Vertiefungen im antarktischen Eisschild. Die superkalte, supertrockene Luft ist dichter als die etwas wärmere Luft um sie herum, so dass sie in die Vertiefungen fällt und dort eingeschlossen wird. Dadurch kühlt die Schneeoberfläche und die darüber liegende Luft weiter ab, bis sich die klaren, ruhigen und trockenen Bedingungen ändern und sich die kalte Luft mit wärmerer Luft in höheren Schichten der Atmosphäre vermischt.

„In diesem Gebiet sehen wir Perioden mit unglaublich trockener Luft, und das ermöglicht es der Wärme von der Schneeoberfläche, leichter in den Weltraum abzustrahlen“, sagte Ted Scambos, ein leitender Forscher am National Snow and Ice Data Center an der University of Colorado-Boulder und Hauptautor der neuen Studie in Geophysical Research Letters, einer Zeitschrift der American Geophysical Union.

Der Rekord von minus 98 Grad Celsius ist nach Angaben der Forscher der kälteste Wert, den man an der Erdoberfläche erreichen kann. Damit die Temperatur so tief sinkt, muss der Himmel mehrere Tage lang klar und die Luft trocken bleiben. Die Temperaturen könnten noch etwas tiefer sinken, wenn die Bedingungen mehrere Wochen andauern würden, aber das sei äußerst unwahrscheinlich, so Scambos.

Schneegestöber auf einem Campingplatz in der Nähe der Vostok Station im antarktischen Sommer.
Credit: Ted Scambos, NSIDC/University of Colorado-Boulder.

Auf der Suche nach dem kältesten Ort

Die große Höhe des ostantarktischen Plateaus und seine Nähe zum Südpol verleihen ihm das kälteste Klima aller Regionen der Erde. Die niedrigste jemals von einer Wetterstation gemessene Lufttemperatur, minus 89 Grad Celsius, wurde dort im Juli 1983 an der russischen Vostok-Station aufgezeichnet.

Aber Wetterstationen können nicht überall Temperaturen messen. Deshalb beschlossen Scambos und seine Kollegen 2013, die Daten mehrerer Erdbeobachtungssatelliten zu analysieren, um herauszufinden, ob sie auf dem Plateau noch niedrigere Temperaturen als die in Wostok aufgezeichneten finden konnten.

In der neuen Studie analysierten sie Satellitendaten, die während des Winters auf der südlichen Hemisphäre zwischen 2004 und 2016 gesammelt wurden. Sie nutzten Daten des MODIS-Instruments an Bord der NASA-Satelliten Terra und Aqua sowie Daten von Instrumenten auf den Polar Operational Environmental Satellites der NOAA.

Die Forscher sahen zunächst eine breite Region des Plateaus mehr als 3.500 Meter über dem Meeresspiegel, wo die Temperaturen an der Schneeoberfläche regelmäßig unter minus 90 Grad Celsius fielen. Die niedrigste Temperatur, die sie beobachteten, lag bei minus 93 Grad Celsius.

Die Daten der MODIS-Instrumente werden anhand von Temperaturmessungen von Wetterstationen am Boden kalibriert. Im Jahr 2016 hat die NASA die MODIS-Daten anhand aktuellerer Wetterstationsmessungen neu kalibriert, und die Forscher haben die Temperaturdaten neu analysiert. Die Wetterbedingungen auf dem Plateau änderten sich nicht, aber die angepassten Satellitendaten vermittelten den Forschern ein genaueres Bild von der tatsächlichen Tiefsttemperatur.

Sie fanden heraus, dass das Rekordtief etwa 5 Grad Celsius (9 Grad Fahrenheit) kälter war als ursprünglich gemeldet, etwa minus 98 Grad Celsius (minus 144 Grad Fahrenheit).

Anhaltende Winde formen die Oberfläche des ostantarktischen Schnees zu kleinen Dünenformen, die ’sastrugi‘ genannt werden.
Credit: Ted Scambos, NSIDC/University of Colorado-Boulder.

Wie kalt kann es werden?

Scambos und seine Kollegen analysierten das Gelände, in dem sie diese ultratiefen Temperaturen sahen, und stellten fest, dass sie in kleinen, 2 bis 3 Meter tiefen Vertiefungen in der Eisoberfläche an der Südseite der hohen Kämme des Plateaus auftraten.

Interessanterweise stellten die Forscher eine ganze Reihe von Orten fest, an denen die Temperaturen im Laufe der 14 Jahre fast genau auf diesen Rekordtiefststand fielen, obwohl sie Hunderte von Kilometern voneinander entfernt lagen. Das brachte sie zum Nachdenken: Gibt es eine Grenze dafür, wie kalt es auf dem Plateau werden kann?

Damit die Temperatur auf diesen Rekordtiefststand fällt, muss der Himmel klar und die Luft mehrere Tage lang knochentrocken sein. Nachdem die Temperatur unter einen bestimmten Punkt gesunken ist, kühlt die Luft so langsam ab, dass sie nicht merklich kälter werden kann, bevor sich die Wetterbedingungen ändern, so die Forscher. Minus 98 Grad Celsius scheinen also die Grenze dafür zu sein, wie kalt es an der Erdoberfläche werden kann, so Scambos.

„Es gibt eine Grenze dafür, wie lange die Bedingungen anhalten, die eine Abkühlung auf diese ultratiefen Temperaturen erlauben, und eine Grenze dafür, wie viel Wärme man tatsächlich durch die Atmosphäre bekommen kann, weil es fast keinen Wasserdampf mehr geben muss, um bei diesen Temperaturen Wärme von der Oberfläche abzugeben“, sagte er.

Das Forscherteam hat eine Reihe von Instrumenten entwickelt, die den ganzen Winter über an den kältesten Orten überleben und arbeiten können, um sowohl Schnee- als auch Lufttemperaturen zu messen. Sie planen, die Instrumente innerhalb der nächsten zwei Jahre einzusetzen.

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