Pietismus

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Der Pietismus ist eine Bewegung innerhalb des Protestantismus, die aus der Reaktion gegen die unfruchtbare protestantische Orthodoxie des siebzehnten Jahrhunderts hervorgegangen ist und auf die Wiederbelebung der Frömmigkeit und des praktischen Christentums abzielt. Ihr Auftreten in der deutschen lutherischen Kirche um 1670 ist mit dem Namen Spener verbunden. Ähnliche Bewegungen waren ihr in der reformierten Kirche der Niederlande (Gisbert Voetius, Jodocus von Lodensteyn) und am deutschen Niederrhein (Gerhard Tersteegen) vorausgegangen. Unter den deutschen Lutheranern können die Mystiker Valentin Weigel und Johannes Arndt sowie die Theologen Johann Gerhard, Johann Matthias Meyfart und Theophilus Großgebauer als Vorläufer Speners angesehen werden.

Philipp Jakob Spener, 1635 in Rappoltsweiler im Elsass geboren, war von frühester Jugend an unter dem Einfluss der frommen Gräfin Agathe von Rappoltstein mit asketischen Werken wie Arndts „Sechs Bücher vom wahren Christenthum“ vertraut. In Genf, wohin er 1660 als Student ging, wurde er von Jean de Labadie, damals als reformierter Prediger tätig, später aber ein separatistischer Fanatiker, tief beeindruckt. Seinen ersten Wirkungskreis fand Spener in Frankfurt am Main, wo er 1666 zum Pfarrer und Senior ernannt wurde. Seine Predigten, in denen er die Notwendigkeit eines lebendigen Glaubens und der Heiligung des täglichen Lebens betonte, verschafften ihm viele Anhänger unter den ernsteren seiner Zuhörer; da er aber die Unmöglichkeit erkannte, das Volk insgesamt zu dem gewünschten Grad der Vollkommenheit zu führen, entwickelte er die Idee einer ecclesiola in ecclesia, gründete 1670 die sogenannten „Collegia pietatis“ (daher der Name Pietisten), d. h. private Versammlungen in seinem Haus.d. h. private Versammlungen in seinem eigenen Haus zur frommen Lektüre und gegenseitigen Erbauung, und schrieb „Pia desideria oder herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirche“ (1675). Nach einer Kritik an den herrschenden Missständen macht er sechs Vorschläge zur Verbesserung der kirchlichen Verhältnisse: In Anbetracht der Unzulänglichkeit der Predigten sollten private Versammlungen abgehalten werden, um das Volk gründlicher mit dem Wort Gottes vertraut zu machen; der Gedanke eines allgemeinen Priestertums, der in der bisherigen Entwicklung der lutherischen Kirche nicht die ihm gebührende Bedeutung erlangt hatte, sollte stärker verwirklicht werden; mit der Erkenntnis des Christentums sollte die Ausübung der Nächstenliebe und der Geist der Vergebung eng verbunden werden; Die Haltung gegenüber den Ungläubigen sollte nicht durch einen streitenden Geist, sondern durch den wohltätigen Wunsch, diese Seelen zu gewinnen, bestimmt werden; der theologische Unterricht sollte reformiert werden, um die Studenten nicht nur zum Fleiß, sondern auch zu einem frommen Leben anzuspornen, in dem die Professoren das Beispiel geben sollten; in der Predigt sollte die Rhetorik aufgegeben und der Akzent auf die Einübung des Glaubens und eines lebendigen, praktischen Christentums gelegt werden. Spener verteidigte seine Vorstellungen von einem allgemeinen Priestertum in „Das geistliche Priesterthum, aus göttlichem Wort kürzlich beschrieben“ (1677). Seine „Pia Desideria“ verschaffte ihm viele Anhänger, rief aber auch heftigen Widerstand unter den lutherischen Theologen hervor.

Ein größeres Betätigungsfeld eröffnete sich Spener 1686, als er zum Hofprediger in Dresden ernannt wurde. Im selben Jahr gründeten August Hermann Francke, Paul Anton und Johann Kaspar Sehade in Leipzig im Sinne Speners die „Collegia philobiblica“ zur praktischen und andächtigen Erklärung der Heiligen Schrift, die eine große Zahl von Meistern und Studenten anzog. Die pietistische Bewegung in Leipzig scheiterte jedoch einige Jahre später am Widerstand der theologischen Fakultät unter der Leitung von Professor Johann Benedict Carpzov. Man warf den Pietisten Irrlehren, Verachtung des öffentlichen Gottesdienstes und der theologischen Wissenschaft sowie separatistische Tendenzen vor. Die „Collegia philobiblica“ wurde 1690 aufgelöst, und die Führer der Bewegung verließen Leipzig mit einem Verbot theologischer Vorlesungen. Spener, der beim Kurfürsten von Sachsen in Ungnade gefallen war, zog 1691 nach Berlin, wo er zum Propst der Nikolaikirche und zum Konsistorialrat ernannt wurde. Der Pietismus wurde auch in Carpzovs Osterprogramm von 1691 und in dem anonymen Traktat „Imago Pietismi“ (1691) angegriffen, das wahrscheinlich von Pastor Roth aus Halle stammt. Es kam zu einem regen Austausch kontroverser Pamphlete. Speners Ruf nach Berlin war für den Pietismus von großer Bedeutung, da er hier das volle Vertrauen des Prinzen Friedrich III. (später König Friedrich I. von Preußen) genoss und entscheidenden Einfluss auf die Auswahl der Professoren für die theologische Fakultät der neu gegründeten Universität Halle ausübte. Francke, der seit seinem Weggang aus Leipzig in Erfurt tätig war, ging im Januar 1692 als Professor und Pfarrer nach Halle; sein Freund Joachim Justus Breithaupt war ihm im Oktober 1691 als erster Professor der Theologie und Direktor des Theologischen Seminars vorausgegangen. Etwas später erhielt auch Paul Anton, ein ehemaliger Kollege Franckes in Leipzig, einen Lehrstuhl in Halle. Professoren anderer Fakultäten, wie der berühmte Jurist Christian Thomasius, Organisator der neuen Universität, standen den pietistischen Theologen zumindest freundschaftlich gegenüber, auch wenn sie deren religiöse Überzeugungen nicht teilten. So wurde Hale zum Zentrum der pietistischen Bewegung im lutherischen Deutschland.

Francke nimmt auch in der Geschichte des Bildungswesens einen hohen Rang ein, dank der Gründung (1695) seines Waisenhauses, um das er verschiedene Einrichtungen für Lehrer und Schüler gruppierte. Er widmete sich auch der Auslandsmission; die Pietisten förderten die Verbreitung der Bibel durch die Einrichtung (1710) eines Bibelhauses im halleschen Waisenhaus durch Freiherr von Canstein. Die Pietisten bewahrten im Großen und Ganzen den Lehrinhalt der lutherischen Lehre, behandelten aber systematische Theologie und Philosophie als völlig zweitrangig. In ihren Predigten gegen die vorherrschende Laxheit der Sitten stellten sie das lutherische Dogma der Rechtfertigung allein durch den Glauben in den Hintergrund und bestanden auf einem Leben aktiver Frömmigkeit und der Lehre von Buße, Bekehrung und Wiedergeburt. Die pietistischen Konvente versuchten, den zur Wiedergeburt führenden „Bußkonflikt“ durch Gebet, andächtige Lektüre und Ermahnungen zu fördern. Die sogenannten „Adiaphora“, Theater, Tanz usw., galten als sündhaft. Nach der Gründung der Universität Halle wurde der Kampf gegen den Pietismus von den orthodoxen Lutheranern, vor allem von Samuel Schelwig in Danzig, Valentin Alberti in Leipzig und der theologischen Fakultät in Wittenberg mit Johann Deutschmann an der Spitze, mit verstärkter Kraft geführt. Später kam Valentin Ernst Löscher (gestorben 1747), gegen den der Pietismus von Joachim Lange, Professor in Halle, verteidigt wurde. Während dieser Kämpfe waren die Begründer des Pietismus verstorben, Spener 1705, Francke 1727, Breithaupt 1732, und es folgte die Zeit des Niedergangs.

In der Zwischenzeit hatte sich der Einfluss des Pietismus trotz aller Widerstände ausgebreitet, und sein Ansehen, unterstützt von König Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I., überlebte Franckes Tod. Friedrich Wilhelm I. ordnete 1729 an, dass alle Theologen, die eine Anstellung in Preußen anstrebten, zwei Jahre lang in Halle studieren sollten; doch die Gunst der Pietisten endete mit der Thronbesteigung Friedrichs II. Neben Halle trugen auch die Universitäten von Königsberg und Gießen zur Verbreitung des Pietismus bei. Mit dem dänischen König Friedrich IV. hatte der Pietismus einen mächtigen Förderer, der die Bewegung in seinem Land unterstützte, dänische Theologiestudenten nach Halle schickte und Francke bat, Missionare für die dänischen ostindischen Besitzungen zu empfehlen. In Württemberg nahm der Pietismus einen besonderen Charakter an; er hielt zwar im Wesentlichen an den Ideen Speners und Franckes fest, war aber gemäßigter, hielt sich enger an die Organisation und Theologie der lutherischen Kirche, hielt sich von Exzentrizitäten fern, hatte mehr wissenschaftliche Interessen und blühte länger als der Pietismus in Norddeutschland. Francke, der 1717 durch Württemberg gereist war, wurde sehr verehrt, während es zu den späteren Vertretern des Pietismus in Norddeutschland keinerlei Kontakt gab. Der Führer der württembergischen Bewegung war Johann Albrecht Bengel (gest. 1752), der wie viele andere württembergische Theologen in Halle studiert hatte; mit ihm waren Eberhard Weismann und Friedrich Christoph Oetinger verbunden. Eine separatistische Gemeinschaft, die aus dem Pietismus hervorging, waren die „Herrnhüter“, deren Gründer, Graf von Zinzendorf, in den Franckeschen Anstalten zu Halle ausgebildet worden war. In der Schweiz war der Pietismus weit verbreitet, besonders in den Kantonen Bern, Zürich, Basel und Waadt.

Soweit er den von Spener und Francke vorgezeichneten Wegen folgte, brachte der Pietismus einige segensreiche Ergebnisse hervor. In der subjektiven Voreingenommenheit der ganzen Bewegung lag aber von Anfang an die Gefahr vieler Missbräuche. Er artete oft in Fanatismus aus, mit angeblichen Prophezeiungen, Visionen und mystischen Zuständen (z.B. Schweißausbrüchen). Dieser dekadente Pietismus führte zur Bildung verschiedener unabhängiger Gemeinschaften, die teils fanatisch (Nillenarier usw.), teils kriminell waren und sich in unzüchtigen Orgien ergaben (z. B. die Wittgenstein-Skandale und die Buttlar-Bande). Unter den Theologen, die von den Pietisten ausgehend zu einer eigenständigen, vom organisierten Protestantismus abweichenden Position gelangten, sind vor allem Gottfried Arnold (gest. 1714), Vertreter eines fanatischen Mystizismus, und sein Schüler Johann Konrad Dippel zu nennen, der alle Formen des orthodoxen Christentums angriff. Obwohl die Begründer des Pietismus nicht die Absicht hatten, die Grundlagen der lutherischen Lehre aufzugeben, bereitete die pietistische Bewegung mit ihrer Behandlung des Dogmas als Nebensache und ihrer Gleichgültigkeit gegenüber Abweichungen in der Lehre den Boden für den theologischen Rationalismus der Aufklärungszeit. Johann Salomo Semler, der Vater des Rationalismus, stammte aus der halleschen Schule des Pietismus, und seine Berufung zum Professor der Theologie an der Universität Halle im Jahr 1752 ebnete den Weg für den Aufstieg des Rationalismus, gegen den die frommen Pietisten ebenso machtlos waren wie die Vertreter der protestantischen Orthodoxie. Der Pietismus lebte im protestantischen Deutschland und in der protestantischen Schweiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die rationalistische Aufklärung und als Antwort auf tiefer empfundene religiöse Bedürfnisse wieder auf. Eine weitreichende Tätigkeit in diesem Sinne entfaltete die Freifrau von Krüdener mit ihren Bußpredigten in vielen Teilen Deutschlands und der Schweiz. Traktatvereine und Vereine zur Verbreitung von Hausmissionen trugen viel dazu bei, den Geist des Pietismus zu fördern. Andererseits artete diese Bewegung neben guten Erfolgen auch wieder in mystischen Fanatismus und Sektierertum aus (z.B. die „scheinheiligen Heuchler“ in Königsberg um 1835; die Anhänger von Schönherr, Ebel und Diestel). Anknüpfungspunkte gibt es auch zwischen dem Subjektivismus der Pietisten und dem theologischen Liberalismus von Albrecht Ritschl und seiner Schule, deren Beharren auf innerer religiöser Erfahrung in Form von Gefühlen ein Grundgedanke des Pietismus ist, obwohl die Ritschlsche Schule sowohl von frommen Pietisten als auch von orthodoxen Lutheranern bekämpft wird.

Quellen

SCHMID, Die Gesch. des Pietismus (Nördlingen, 1863); THOLUCK, Gesch. des Rationalismus. I. Gesch. des Pietismus u. des ersten Stadiums der Aufklärung (Berlin, 1865); RITSCHL, Gesch. des Pietismus (Bonn, 1880-86); SACHSSE, Ursprung u. Wesen des Pietismus (Wiesbaden, 1884); HÜBENER, Ueber den Pietismus in Verhandlungen der 25. Jahresversammlung der Synode der ev.-luth. Freikirche in Sachsen (Zwickau, 1901), 17-156; HADORN, Gesch. des Pietismus in den schweizerischen reformierten Kirchen (Konstanz, 1901); RENNER, Lebensbilder aus der Pietistenzeit (Bremen, 1886); HOSSBACH, Ph. J. Spener u. seine Zeit (Berlin, 1828; 2. Aufl., 1853); GRÜNBERG, Ph. J. Spener (Göttingen, 1893-1906); NIEMEYER, A. H. Francke (Halle, 1794); GUERICKE, A. H. Francke (Halle, 1827); KRAMER, A. H. Francke (Halle, 1880-2); HARTMANN, A. H. Francke (Calw und Stuttgart, 1897); OTTO, A. H. Francke (Halle, 1902); KAYSER, Christian Thomasius u. der Pietismus, Beilage zum Jahresbericht des Wilhelm Gymnasiums in Hamburg (Hamburg, 1900).

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APA-Zitat. Lauchert, F. (1911). Pietismus. In The Catholic Encyclopedia. New York: Robert Appleton Company. http://www.newadvent.org/cathen/12080c.htm

MLA-Zitat. Lauchert, Friedrich. „Pietism.“ The Catholic Encyclopedia. Vol. 12. New York: Robert Appleton Company, 1911. <http://www.newadvent.org/cathen/12080c.htm>.

Transcription. Dieser Artikel wurde für New Advent von Douglas J. Potter transkribiert. Gewidmet dem Heiligsten Herzen Jesu Christi.

Kirchliche Approbation. Nihil Obstat. 1. Juni 1911. Remy Lafort, S.T.D., Zensor. Imprimatur. +John Kardinal Farley, Erzbischof von New York.

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