Tut, Tut: Neue Sicht auf König Tutanchamun entfacht Debatte
Eine neue „virtuelle Autopsie“ des ägyptischen Königs Tutanchamun zeigt ihn als breithüftigen, großbrüstigen, schwachbrüstigen Pharao, der im Teenageralter an angeborenen Problemen starb, die durch Inzest verursacht wurden – aber diese Darstellung hat einige ägyptische Archäologen dazu veranlasst, sich zu beschweren, dass der junge König 3.300 Jahre nach seinem Tod verleumdet wird.
Die überarbeitete Darstellung von König Tut, einschließlich einer virtuellen Rekonstruktion seines Gesichts und Körpers, steht im Mittelpunkt einer Fernsehdokumentation, die am Sonntag auf dem Smithsonian Channel in den Vereinigten Staaten ausgestrahlt wurde. Die Zuschauer können die nächste geplante Ausstrahlung auf der Website des Smithsonian Channel finden.
Die US-Version der Sendung trägt den Titel „King Tut’s Final Mystery“, aber die britische Version wurde am vergangenen Wochenende von der BBC unter dem Titel „Tutanchamun: The Truth Uncovered“ ausgestrahlt.
Es ist diese Version, die die Kritiker in Ägypten auf den Plan rief. Sie wehrten sich gegen die Behauptung, König Tut habe an genetischen Störungen gelitten, weil er aus einer Reihe inzestuöser königlicher Ehen hervorgegangen sei. Sie beschwerten sich auch über die wenig schmeichelhafte Körperrekonstruktion, die Tut mit hervorstehenden Hasenzähnen und einem knorrigen Klumpfuß zeigt.
„Das wissenschaftliche Team sucht nach Ruhm, da ihre Ergebnisse nur Spekulationen ohne archäologische oder historische Beweise sind“, zitierte Al-Ahram Weekly den Archäologen Ahmed Said von der Universität Kairo.
Die Fäden der Beweise
Hutan Ashrafian, ein Chirurg und medizinischer Forscher am Imperial College London, der an der Entstehung der neuen Dokumentation beteiligt war, sagte, dass die Show tatsächlich mehrere Fäden forensischer und historischer Beweise zusammenknüpft – einschließlich einer Analyse von Tausenden von CT-Scan-Bildern der Mumie von König Tut.
„Wir waren in der Lage, seinen Tod zu kontextualisieren“, sagte Ashrafian gegenüber NBC News.
Ashrafians Beitrag zu der Show umfasst den Versuch, Darstellungen von Tutanchamun und seinen Vorfahren aus der 18. Dynastie mit derzeit bekannten Krankheiten in Einklang zu bringen. In einer Studie, die in der Zeitschrift Epilepsy and Behavior veröffentlicht wurde, stellte Ashrafian fest, dass einige antike Darstellungen Tut mit vergrößerten Brüsten und breiten, „verweiblichten“ Hüften zeigen. Außerdem werden Tut’s Vater (Echnaton), Großvater (Amenhotep III.) und mutmaßlicher Urgroßvater (Tuthmosis IV.) mit ähnlichen Merkmalen dargestellt.
„Wahrscheinlich war dies auf eine hormonelle Störung zurückzuführen“, so Ashrafian.
Ägyptische Inschriften legen außerdem nahe, dass Tuthmosis IV. und Echnaton starke religiöse Visionen hatten, die mit der Sonne in Verbindung standen. Echnaton ging sogar so weit, eine monotheistische Religion zu gründen, die auf der Verehrung des Sonnengottes Aten beruhte. Als Tutanchamun im Alter von 10 Jahren Pharao wurde, hielt er am Aten-Kult fest – kehrte aber bald zu Ägyptens früherer religiöser Tradition zurück.
Auf der Grundlage der historischen Berichte schlug Ashrafian vor, dass Tut und seine Vorfahren an angeborener Gynäkomastie (was die Brüste und die Hüften erklären würde) sowie an Schläfenlappen-Epilepsie (was die Visionen erklären würde) litten.
Epilepsie wird mit einem erhöhten Risiko von Knochenbrüchen in Verbindung gebracht, und Tut könnte auch an einer angeborenen Knochenerkrankung wie dem Kohler-Syndrom gelitten haben. Das würde erklären, warum Tut’s Mumie Anzeichen eines stark gebrochenen Beins und missgebildete Zehen aufwies – und warum mehr als 100 Gehstöcke in seinem Grab gefunden wurden.
In dem Dokumentarfilm schlagen Ashrafian und andere Experten vor, dass die Pharaonen der 18. Dynastie seltene genetische Störungen von einer Generation an die nächste weitergegeben haben könnten, weil es im alten Ägypten üblich war, dass königliche Geschwister einander heirateten. Diese Praxis hielt die dynastische Linie „rein“, aber sie erhöhte auch das Risiko der Weitergabe von Geburtsfehlern.
Gegensätzliche Meinungen
Im Laufe der Jahre sind viele Theorien über den Tod von König Tut aufgestellt worden. Ashrafian sagte, er sei bei seinen Recherchen auf viele davon gestoßen. „Ich habe festgestellt, dass es 101 verschiedene Ursachen gibt“, sagte er gegenüber NBC News.
Im Jahr 2010 wurde in einer Studie im Journal of the American Medical Association festgestellt, dass Tutanchamun an „multiplen Störungen“ litt. Die Studie stützte sich auf DNA-Tests sowie auf CT-Scans, die von einem Team unter der Leitung von Zahi Hawass, dem damaligen ägyptischen Top-Archäologen, durchgeführt wurden.
Die Studie kam zu dem Schluss, dass der Tod von König Tutanchamun auf einen Beinbruch zurückzuführen ist, der wahrscheinlich bei einem Sturz erlitten wurde. Die Forscher fanden in Tut’s Überresten auch Spuren von DNA eines Malaria-übertragenden Parasiten. Die Malaria verschlimmerte wahrscheinlich den Gesundheitszustand des jungen Pharaos und trug zu seinem Tod bei, so die Forscher.
Der Dokumentarfilm stimmt weitgehend mit diesem Szenario überein, aber in dem Bericht von Al-Ahram Weekly widersprechen ägyptische Archäologen den Behauptungen der Sendung, dass Tut ein großbrüstiges, breithüftiges, feminines Aussehen hatte. Die Studie von 2010 fand dafür keine Beweise.
Die Wissenschaftler Said und Hawass von der Universität Kairo erklärten, dass die feminisierten Darstellungen der ägyptischen Pharaonen Teil eines künstlerischen Stils waren, der durch die religiösen Überzeugungen der damaligen Zeit motiviert war und nicht unbedingt ihr wahres Aussehen widerspiegelte.
Sie widersprachen auch der detaillierten Diagnose angeborener Defekte in der Dokumentation, die auf unvollständigem Wissen über Tutanchamuns Vorfahren beruhte. In der Sendung behauptet der italienische Archäologe Albert Zink, dass Tut’s Vater und Mutter Geschwister waren, aber der Ägyptologe Ahmed Saleh erklärte gegenüber Al-Ahram, dass eine solche Behauptung noch nicht bewiesen sei.
Es steht außer Frage, dass König Tut kein gesunder Pharao war – in diesem Punkt steht „King Tut’s Final Mystery“ auf sicherem Boden. Aber Hawass beklagte, dass die virtuelle Rekonstruktion von Tut’s Körper wissenschaftlich nicht fundiert sei.
„Wir wissen, dass dieser Mann 130 Gehstöcke hatte und dass er Pfeile schoss, während er saß“, sagte er zu Al-Ahram, „aber das bedeutet nicht, dass er einen Klumpfuß hatte.“
„King Tut’s Final Mystery“ hat am Sonntag auf dem Smithsonian Channel Premiere. Die Ausstrahlungstermine finden Sie im lokalen Programm.